Direkter Gegenvorschlag

Initiative «Raum für alle – Ja zu bezahlbarem Wohn- und Gewerberaum»  •   28. August2017

 

Ein Kompromiss ist dann vollkommen, wenn alle unzufrieden sind.
Aristide Briand (1862 – 1932), französischer Außenminister 1925 – 1932, Friedensnobelpreis 1926

 

Werte Anwesende

Wer von euch ist überzeugt für die Initiative und sich sicher, dass sie von der Bevölkerung angenommen wird? Und wer von euch ist überzeugt gegen die Initiative und sich sicher, dass die Bevölkerung die Initiative ablehnen wird?

Es wäre jetzt spannend zu sehen, wer alles mindestens einmal mit ja geantwortet hat. Wobei, wenn jemand zwei Mal ja mit Ja geantwortet hat, …

Wenn ich raten müsste, würde ich drauf tippen, dass da vorne rechts die Leute zu finden sind, die bei der ersten Frage mit ja geantwortet haben. Der Ja-Anteil von der zweiten Frage ist wohl eher von mir aus gesehen links zu finden.

Völlig klar ist eines: eine von den beiden Gruppen wird im November eine böse Überraschung erleben. Ich persönlich habe keine Ahnung, ob vorne rechts oder da drüben links am Schluss recht gehabt haben wird.

Eine aus meiner Sicht gute Strategie für die beiden Lager wäre somit, unser direkter Gegenvorschlag der Bevölkerung als Kompromiss vorzulegen. Ein Kompromiss, mit dem man nicht richtig glücklich ist. Aber einer, wo besser ist, als alles zu verlieren.

So viel zu den strategischen Gründen für den Kompromiss. Es gibt aber tatsächlich auch inhaltliche.

Das Grundanliegen von den Initianten hat einen Nerv in der Bevölkerung getroffen. Immerhin haben 10 % der Aarauerinnen und Aarauer in beeindruckend kurzen Zeit die Initiative unterschrieben. Das Bedürfnis aufzunehmen, scheint somit mehr als vertretbar.

Gleichzeitig ist man sich offen oder hinter vorgehaltener Hand von rechts bis weit über die Mitte hinaus ins linke Lager einig, dass der vorliegende Initiativtext problematisch ist.

Nehmen wir den Satz «Die Stadt sorgt für eine stete Erhöhung der Anzahl Wohnungen, die sich im alleinigen und gemeinsamen Eigentum der öffentlichen Hand und von gemeinnützigen Wohnbauträgerinnen und Wohnbauträgern (…) befinden.» Der «Einfachheit halber» habe ich ein paar Teile von dem Satz weggelassen müssen, sorry.

Eine jährliche Steigerung um eine einzige Wohnung würde das Kriterium erfüllen. Ich bezweifle, dass das im Sinne der Initianten wäre.

Vor allem aber, der Satz ist eine sture Anweisung ohne im Geringsten auf einen tatsächlichen Bedarf Rücksicht zu nehmen. Im Moment mag das Bedürfnis da sein, aber wie sieht es vier, zehn oder 20 Jahren aus? Nochmals: Diese Regel zwingt die Stadt ständig mehr von den gewünschten Wohnungen anzubieten Es spielt dabei keine Rolle, ob ein Bedarf für solche Wohnungen ausgewiesen ist.

Dass die Initiative also völlig unabhängig von jeglichem Bedarf eine Steigerung fordert, eine Steigerung die natürlich auch kostet, allenfalls viel oder sehr viel kostet, finden wir sehr problematisch.

Aus unserer Sicht ist der Gegenvorschlag genau da stärker. Er fordert ein bedarfabhängiges Engagement von der Stadt. Was heisst das: Im Durchschnitt soll die Aarauerinnen und Aarauer eine finanzierbare durchschnittliche Wohnung finden. Was das genau heisst, darüber können dann die im November Wiedergewählten mittels Reglement befinden.

Trotzdem ist mit dem Gegenvorschlag die Wohnraumförderung in der Gemeindeordnung festgeschrieben. Das verhindert – im Gegensatz zum indirekten Gegenvorschlag – dass ein zukünftiger Stadtrat nach Lust und Laune das Thema wieder ignorieren kann. Worst Case vom indirekten Gegenvorschlag wäre ja, dass wir CHF 80 000 ausgeben, das Dokument aber einfach in der Schublade verschwindet. Versteht mich nicht falsch. Dem jetzigen Stadtrat vertraue ich in dieser Hinsicht. Aber dem seine Zeit nähert sich dem Ende.

Das zweite wichtige Argument für den Gegenvorschlag aus Sicht vom Einwohnerrat ist folgendes: Er ist die einzige Lösung ist, die den Einwohnerrat zwingend entscheidend in die Ausgestaltung einbezieht. Bei der Initiative ist praktisch nichts mehr verhandelbar, beim direkten Gegenvorschlag ist der Stadtrat am Drücker.

Bei der Behandlung vom geforderten Reglement im Einwohnerrat kann sich die Linke Seite dafür einsetzen, dass die «richtigen» Massnahmen wie in der Initiative skizziert getroffen werden. Die rechte Seite kann sicherstellen, dass gutverdienende nicht von subventionierte Wohnungen profitieren und so den befürchteten Missbrauch verhindern. Und im Einwohnerrat kann auch festgesetzt werden, ob es jetzt die von uns vorgeschlagenen 25% des Bruttoeinkommens die Masslatte sind, oder ob allenfalls beispielsweise 20 % oder 30 % besser sind. Bis dann sollte die Stadt Zahlen haben, die eine bessere Diskussion ermöglichen.

Übrigens kann bereits jetzt den Einwohnerrat Einfluss nehmen und Änderungsanträge zum Gegenvorschlag stellen. Diese werden, wenn ich das richtig verstanden habe, vor der Abstimmung über die Initiative beschlossen oder verworfen.

Uns ist klar, mit dem Gegenvorschlag ist niemand wirklich zufrieden. Den einen ist zu liberal, den anderen zu wenig liberal, er ist gleichzeitig zu konkret und zu nichtssagend. Tröstlicherweise wäre gemäss dem Friedensnobelpreisträger Aristide Briand unser Kompromiss somit immerhin vollkommen. Auch nicht schlecht.

Okay, die Behauptung ist recht vermessen und ich glaube auch nicht ernsthaft daran. Aber: Ich glaube, unser direkte Gegenvorschlag ist das richtige Mittel, um den Aarauerinnen und Aarauern eine Auswahl zwischen

  1. extremer Regulation, sprich der Initiative,
  2. Flexibler Regulation basierend auf wenigen Prinzipien, also dem Gegenvorschlag und drittens
  3. mehr oder weniger dem Status quo

zu geben. Wer der direkten Demokratie vertraut, gibt der Bevölkerung alle drei Möglichkeiten und macht Werbung für eine dieser drei Versionen. Eine Unterstützung des Gegenvorschlags da im Rat bedeutet explizit nicht, dass man den Gegenvorschlag im Abstimmungskampf unterstützen muss. Aber man darf.

Herzlichen Dank für Eure Unterstützung.

Und noch ein PS:
Die Fraktion von Pro Aarau, EVP/EW und GLP wird ungefähr aus den erwähnten Gründe den Gegenvorschlag unterstützen. Das heisst, wir haben Angst sowohl vor einem Ja zur Initiative wie auch vor einem Nein. Eine Aussage zum Ausgang der Abstimmung wagen wir nicht. Mit dem Gegenvorschlag fahren wir sicherer. Keine Extremposition gewinnt und im Einwohnerrat können wir sachlich und kompromissorientiert ein Reglement erlassen. Und vor allem, niemand verliert alles.

Noch ein Wort zum indirekten Gegenvorschlag: Er wird wohl mehrheitlich unterstützt. Ich persönlich werde zum indirekten Gegenvorschlag Nein sagen. Wenn der indirekte Gegenvorschlag aus Sicht der SP etwas taugen würde, dann würde die SP die Initiative zurückziehen. Aus rechter Sicht besteht die Gefahr, CHF 80 000 für ein Schubladenprojekt auszugeben. In dem Zusammenhang sehe ich nicht, warum ich für den indirekten Gegenvorschlag sein sollte.

By | 2017-08-29T09:27:42+01:00 August 28th, 2017|Diskussionsbeitrag|