Nehmen wir die Gemeindeordnung ernst

Umsetzung der städtischen Energie- und Klimaziele • 27. Februar 2017
… (Pause, um Sprachlosigkeit zu zitieren)
Sorry, es ist schwierig, Sprachlosigkeit effektvoll zu zitieren
Werte Anwesende
Sprachlosigkeit ist unüberhörbar leise. Und so ist es auch sehr leise gewesen, wo ich die Vorlage gelesen gehabt habe. Der einzige Gedanke, zudem ich fähig gewesen bin, kürzt sich mit den Buchstaben WTF ab. Nach der ersten – negativen – Überraschung, habe ich meine Gedanken können ordnen und – zu eurem Leidwesen – auch aufs Papier gebracht.
So möchte ich zuerst rekapitulieren, warum wir diese Debatte führen:
- Am 21. Oktober 2010 hat der Verein Energiestadt Aarau konkret – kurz esak – die Initiative mit gleichem Namen eingereicht. Nach einigem hin und her hat der Stadtrat einen Gegenvorschlag zur Initiative vorgelegt. Im März 2012 haben dann die Aarauerinnen abgestimmt und – wenn ich die AZ zitieren darf – den Gegenvorschlag deutlich angenommen.
- Praktisch auf den Tag genau ein halbes Jahrzehnt später beraten wir heute über die Umsetzung von dem Volksentscheid. Schon noch wahnsinnig – wie schnell die Zeit vergeht, oder? Aber auch wahnsinnig – wie wenig seither die Stadt gemacht hat.
- Die Stadt hat 2013 bei einer Beratungsfirma ein 2000-Watt-Konzept bestellt. Darauf auf-bauend hat die Stadt ein weiteres Konzept ausgearbeitet, durch eine Vernehmlassung geschickt und nochmals angepasst. Resultat: Der Aktionsplan 2016 bis 2022 mit geschätzten jährlichen Kosten von rund 400 000 CHF. Vor ziemlich genau zwei Jahren hat der Stadtrat das Konzept im Wissen um die entsprechenden Kosten gutgeheissen.
Und seither? Aus Spargründen hat der Stadtrat den jährlichen Betrag auf – wie er schreibt – 100 000 CHF gekürzt. Gleichzeitig kann oder will er nicht aufzeigen, wie mit dem Betrag, die vorgegebenen Ziele erreicht werden sollen.
Ich finde es – nett ausgedrückt – mutig, Stabilo und einen Artikel in der Gemeindeordnung auf die gleiche Stufe zu setzen und kreativ, wie der Stadtrat auf CHF 100 000 kommt. Im Kleingedruckte kann man nämlich lesen, dass die Hälfte von dem Betrag sowieso schon budgetiert ist. Ich habe aber vollstes Verständnis, dass die Vorlage von CHF 100 000 redet. Eine separate Vorlage für CHF 50 000 jährlich über sieben Jahre hätte beinahe schon etwas Lächerliches.
Zusammengefasst: 5 Jahre nach dem Volksentscheid und eine Vernehmlassung später haben wir 2.5 Konzepte und einen praktisch nicht existenten Budgetantrag. Zum Vergleich: In der Zwischenzeit hat die IBA rund 60 Mio. ausgegeben, gefühlt jede Strasse in Aarau zweimal aufgegraben und vor allem mit ihren modernen Fernwärmenetzen zum Klimaschutz beigetragen – und nebenbei ein langfristiges Geschäftsfeld aufgebaut.
Was müsste die Stadt aber machen. Schauen wir doch, was in der Gemeindeordnung steht. Vereinfacht sind folgende vier Punkte fest verankert:
- Die Stadt sorgt für den schonenden Umgang mit den natürlichen Ressourcen. (tönt schön, tut nicht weh, easy)
Die Stadt setzt sich für die Förderung von Energieeffizienz und erneuerbaren Energiequellen und für die Reduktion vom Treibhausgasausstoss ein. Das wäre nach meinem Verständnis der klar formulierte Auftrag für ein Förderprogramm oder ähnliches.
Der Stadtrat strebt konkrete Reduktionsziel an. Beispielsweise soll der Treibhausgasausstoss pro Person in einem ersten Schritt von 2010 bis 2020 um einen Viertel gesenkt werden. Laut FGPK-Protokoll hat der Stadtrat keine Ahnung, wo wir uns auf diesem Pfad befinden. Bedenklich.
- Ab spätestens 2035 soll die IBAarau keine Atomenergie mehr beziehen und verkaufen. Dazu schreibt der Stadtrat meines Wissens bis jetzt nichts. Aber das hat ja auch noch Zeit.
Meines Erachtens zeigt die Vorlage, dass der Stadtrat seinen eigenen Gegenvorschlag nicht ernst nimmt, die Umsetzung verzögert und nicht bereit ist, die notwenigen Mittel einzusetzen. Das ist schlicht dreist.
Es ist klar. Wie so oft geht es am Schluss um das Geld. Zwei Gedanken möchte ich mit-geben. Erster Gedanke: Am Tag, wo die esak-Initiative eingereicht worden ist, haben die IBA Alpiq-Aktien im Wert von rund 207 Mio CHF gehört. Die Initiative hat den Verkauf von diesen Aktien gefordert, der Gegenvorschlag nicht. Was denkt ihr, welchen Wert haben die Aktien am Ende vom letzten Jahr gehabt? Noch 60 %? Noch 40 %? Beides falsch: noch rund 22 %. Buchverlust rund 161 Millionen. Wenn ich es richtig verstanden habe, müsste die IBA bei einem Verkauf der Aktien knapp die Hälfte des Buchgewinns der Stadt überweisen. Mit den Einnahmen des damaligen Verkaufs könnte der originale Aktionsplan 2016 bis 2022 für deutlich mehr als 200 Jahre finanziert werden.
Zweiter Gedanke: Finden wir es gut, dass die 400 000 CHF jetzt aus der laufenden Rechnung zu bezahlen sind? Natürlich nicht, eine Lenkungsabgabe beispielsweise wäre uns viel lieber. Gerade letzte Woche hat eine ETH-Studie gezeigt, dass Lenkungsabgaben für wenig Geld sehr viel Nutzen bringen. Anscheinend ist das in Aarau aber nicht möglich. Lenkungsabgaben und andere Ideen, wie man zu den 400 000 CHF kommt, seien nicht gesetzeskonform. Ich bin nicht Jurist, ich kann das nicht beurteilen. Bei allen Widersprüchen zwischen Vorlage, FGPK-Protokoll und anderen Publikationen von der Stadt wie z. B. der Homepage habe ich aber begründete Zweifel an den präsentierten Fakten.
Gute Ideen für eine langfristig andere Finanzierung könnten auch aus einer Energie- und Klimakommission kommen. Eine Kommission, die aus meiner Sicht dringend notwendig wäre. Allenfalls auch kombiniert mit der Verkehrskommission.
Trotz allem gibt es zwei Sachen, die mich positiv stimmen. Erstens macht die IBA vorwärts und gibt bei den Fernwärmenetzen so richtig – ähm – Biogas. Machen wir uns dabei aber nichts vor – das macht die IBA nicht nur aus Nächstenliebe und Sorge zur Umwelt, sondern auch aus geschäftlichen Interesse. Und zweitens stimmt mich positiv, dass die SVP heute ja sicherlich ja stimmen wird, da ihr der «Volkswille» bekanntlich heilig ist. Ich erinnere da an eine Schilderaktion im Nationalrat.
Eigentlich ist es ganz einfach. Der Auftrag an die Stadt ist klar, die Massnahmen bis 2022 sind klar und das notwendige Budget ist klar. Somit ist auch klar, was wir – geschätzte Einwohnerrätinnen und Einwohnerräte – zu tun haben: den Volksauftrag ernst zu nehmen und den vollen Kredit zur Umsetzung vom Massnahmenplan zu bewilligen.
Im Namen der unterzeichnenden und meiner Fraktion.
Herzlichen Dank.